Verantwortlich für diese Seite: Andreas Fischer
Bereitgestellt: 28.04.2017
"Die Pforten ins Paradies öffnen sich": Vortrag zu Luthers Lehre
„Da fühlte ich mich völlig neugeboren und als wäre ich durch die geöffneten Pforten ins Paradies selbst eingetreten“, schrieb Luther später in Bezug auf jenen Augenblick, als sich ihm, einsam in einem Turm über dem Römberbrief brütend, anhand eines Bibelverses (Röm. 1, 17) ein ganz neues Gottesbild eröffnete. Das war seine grosse reformatorische Entdeckung, der Impuls, der die ganze reformatorische Bewegung auslöste.
Andreas Fischer,
Worum es dabei genau ging, ist für uns Heutige nicht ganz einfach nachzuvollziehen. Wir versuchen es, am zweiten Abend des Lutherzyklus, trotzdem. Und versuchen auch, einige Linien in Luthers theologischem Denken nachzuzeichnen, die von diesem ursprünglichen Impuls ausgingen: sein Verständnis von Kirche, von Sakramenten, vom Menschen etc. Und auch, Luthers Abgründe aufzuzeigen, die sich etwa in seinen Positionen gegenüber den Bauern und den Juden auftun.
Der Vortrag schliesst an an jenen von Pfr. Klaus-Christian Hirte zu Luthers Werdegang ("Hier stehe ich, ich kann auch anders") vom 27. April in Rheinfelden, setzt aber keine Vorkenntnisse voraus. Anschliessend Gelegenheit zum Austausch.
Herzliche Einladung!
Andreas Fischer
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Zur Einstimmung auf den Abend voilà die Langfassung des Editorials des Güggels vom Mai 2017:
Luthers mystische Seite
Der reformierte Pfarrer und bekannte Hagiograph Walter Nigg (1903-1988) erzählt im Vorwort seines Buchs „Heimliche Weisheit“ von einer Begegnung mit dem Gastpater des Kartäuserklosters „La Valsainte“ im Kanton Fribourg. Nigg befragte ihn nach dem spirituellen Leben dieses Ordens. Am Schluss des Gesprächs bat der Gastpater Nigg, seinerseits etwas vom Gottesleben in der evangelischen Kirche zu erzählen. Nigg kam ins Stammeln. Der Mönch fragte ihn nicht nach den theologischen Strömungen innerhalb des Protestantismus, nicht nach dem Dialog der Theologie mit den Naturwissenschaften oder ethischen Themen, die sich etwa im Zusammenhang mit der Genforschung ergeben. Zu all dem hätte der hochgebildete Nigg stundenlang referieren können. Nein, er wurde nach dem evangelischen Glaubensleben gefragt, nach seiner Mystik. Er sei beschämt von dannen gezogen. Und habe beschlossen, sich auf Spurensuche zu machen. In „Heimliche Weisheit“ porträtiert Nigg eine Reihe von evangelischen Mystikern, Thomas Münzer, Jakob Böhme, Angelus Silesius, Gerhard Tersteegen, Novalis, Schleichermacher und viele mehr. Ganz am Anfang des Buches steht Martin Luther.
Das mag zunächst erstaunen. Denn Luther, schreibt Nigg, zog wie ein „wilder Eber im Weinberg des Herrn“ über manche Mystiker her. Das einflussreiche Buch „Mystische Theologie“ von Dionysius Areopagita (um 500) etwa, sagte Luther, bestehe aus „lauter Fabelwerk und Lügen“. Und die Visionen der von Papst Johannes Paul II. zur „Patronin Europas“ erhobenen Ordensgründerin Brigitta von Schweden (1303-1373) diffamierte er als „reine Illusionen“ des Satans.
Erst bei näherem Hinsehen zeigen sich Luthers eigene mystische Seiten. Dann wird zum Beispiel sichtbar, dass Luthers liebstes Bild für die Beziehung des Christenmenschen zu seinem Gott jenes der Vogelmutter ist, unter deren Gefieder das Küken sich birgt. Oder es taucht jene überraschende Formulierung auf, dass, „wer in der Liebe bleibt, in Gott bleibt und Gott in ihm, also, dass er und Gott ein Kuchen werden“, d.h. dass er sich auf tiefster Ebene mit Gott vereint. In diesen „Momenten der glaubensmässigen Einswerdung mit Gott“, kommentiert Nigg die Passage, „muss man Luther belauschen, will man zur Seele des Reformators vorstossen“. Von hier, diesem innersten Punkt her rücken auch die grossen Themen von Luthers Theologie in ein neues, ein mystisches Licht.
Etwa Luthers Abendmahlsverständnis: Dass er, anders als Zwingli, an der Überzeugung festhält, dass im Abendmahl eine Wandlung geschieht, dass Christus in Brot und Wein real präsent ist, dass diese also nicht nur Leib und Blut Christi bedeuten, sondern es tatsächlich sind – das ist nicht irrationaler Hokuspokus, das ist tiefste Mystik: Im Abendmahl geschieht Vereinigung, Einswerdung mit Christus.
Oder Luthers Wortverständnis, das Nigg als „Wortmystik“, ja als „Magie des Wortes“ bezeichnet: Worte, zumal jene der Heiligen Schrift, sind für Luther viel mehr als Informationsträger. Sie tragen Macht in sich. Sie haben verändernde, schöpferische und erlösende Kraft.
Schliesslich sei auch noch die reformatorische Urerfahrung erwähnt: Dass ich, ungeachtet meiner Verfehlungen, von Gott „gerechtfertigt“ und also geliebt und gesegnet bin. Auch diese „Rechtfertigungslehre“, der „articulus stantis et cadentis ecclesiae“, das „Fundament, mit dem die evangelische Kirche steht oder fällt“, ist ursprünglich alles andere als eine formelhafte Doktrin, die unverstanden nachgeplappert werden kann. Sie ist eine Erfahrung von Durchbruch, Erleuchtung, Wiedergeburt: „Da fühlte ich mich“, schrieb Luther selber darüber, „völlig neugeboren und als wäre ich durch die geöffneten Pforten ins Paradies selbst eingetreten.“
Im Vortrag wird diese mystische Seite Luthers zur Sprache kommen.
Andreas Fischer
Der Vortrag schliesst an an jenen von Pfr. Klaus-Christian Hirte zu Luthers Werdegang ("Hier stehe ich, ich kann auch anders") vom 27. April in Rheinfelden, setzt aber keine Vorkenntnisse voraus. Anschliessend Gelegenheit zum Austausch.
Herzliche Einladung!
Andreas Fischer
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Zur Einstimmung auf den Abend voilà die Langfassung des Editorials des Güggels vom Mai 2017:
Luthers mystische Seite
Der reformierte Pfarrer und bekannte Hagiograph Walter Nigg (1903-1988) erzählt im Vorwort seines Buchs „Heimliche Weisheit“ von einer Begegnung mit dem Gastpater des Kartäuserklosters „La Valsainte“ im Kanton Fribourg. Nigg befragte ihn nach dem spirituellen Leben dieses Ordens. Am Schluss des Gesprächs bat der Gastpater Nigg, seinerseits etwas vom Gottesleben in der evangelischen Kirche zu erzählen. Nigg kam ins Stammeln. Der Mönch fragte ihn nicht nach den theologischen Strömungen innerhalb des Protestantismus, nicht nach dem Dialog der Theologie mit den Naturwissenschaften oder ethischen Themen, die sich etwa im Zusammenhang mit der Genforschung ergeben. Zu all dem hätte der hochgebildete Nigg stundenlang referieren können. Nein, er wurde nach dem evangelischen Glaubensleben gefragt, nach seiner Mystik. Er sei beschämt von dannen gezogen. Und habe beschlossen, sich auf Spurensuche zu machen. In „Heimliche Weisheit“ porträtiert Nigg eine Reihe von evangelischen Mystikern, Thomas Münzer, Jakob Böhme, Angelus Silesius, Gerhard Tersteegen, Novalis, Schleichermacher und viele mehr. Ganz am Anfang des Buches steht Martin Luther.
Das mag zunächst erstaunen. Denn Luther, schreibt Nigg, zog wie ein „wilder Eber im Weinberg des Herrn“ über manche Mystiker her. Das einflussreiche Buch „Mystische Theologie“ von Dionysius Areopagita (um 500) etwa, sagte Luther, bestehe aus „lauter Fabelwerk und Lügen“. Und die Visionen der von Papst Johannes Paul II. zur „Patronin Europas“ erhobenen Ordensgründerin Brigitta von Schweden (1303-1373) diffamierte er als „reine Illusionen“ des Satans.
Erst bei näherem Hinsehen zeigen sich Luthers eigene mystische Seiten. Dann wird zum Beispiel sichtbar, dass Luthers liebstes Bild für die Beziehung des Christenmenschen zu seinem Gott jenes der Vogelmutter ist, unter deren Gefieder das Küken sich birgt. Oder es taucht jene überraschende Formulierung auf, dass, „wer in der Liebe bleibt, in Gott bleibt und Gott in ihm, also, dass er und Gott ein Kuchen werden“, d.h. dass er sich auf tiefster Ebene mit Gott vereint. In diesen „Momenten der glaubensmässigen Einswerdung mit Gott“, kommentiert Nigg die Passage, „muss man Luther belauschen, will man zur Seele des Reformators vorstossen“. Von hier, diesem innersten Punkt her rücken auch die grossen Themen von Luthers Theologie in ein neues, ein mystisches Licht.
Etwa Luthers Abendmahlsverständnis: Dass er, anders als Zwingli, an der Überzeugung festhält, dass im Abendmahl eine Wandlung geschieht, dass Christus in Brot und Wein real präsent ist, dass diese also nicht nur Leib und Blut Christi bedeuten, sondern es tatsächlich sind – das ist nicht irrationaler Hokuspokus, das ist tiefste Mystik: Im Abendmahl geschieht Vereinigung, Einswerdung mit Christus.
Oder Luthers Wortverständnis, das Nigg als „Wortmystik“, ja als „Magie des Wortes“ bezeichnet: Worte, zumal jene der Heiligen Schrift, sind für Luther viel mehr als Informationsträger. Sie tragen Macht in sich. Sie haben verändernde, schöpferische und erlösende Kraft.
Schliesslich sei auch noch die reformatorische Urerfahrung erwähnt: Dass ich, ungeachtet meiner Verfehlungen, von Gott „gerechtfertigt“ und also geliebt und gesegnet bin. Auch diese „Rechtfertigungslehre“, der „articulus stantis et cadentis ecclesiae“, das „Fundament, mit dem die evangelische Kirche steht oder fällt“, ist ursprünglich alles andere als eine formelhafte Doktrin, die unverstanden nachgeplappert werden kann. Sie ist eine Erfahrung von Durchbruch, Erleuchtung, Wiedergeburt: „Da fühlte ich mich“, schrieb Luther selber darüber, „völlig neugeboren und als wäre ich durch die geöffneten Pforten ins Paradies selbst eingetreten.“
Im Vortrag wird diese mystische Seite Luthers zur Sprache kommen.
Andreas Fischer