Verantwortlich für diese Seite: Andreas Fischer
Bereitgestellt: 20.12.2020
"Tröstet, Tröstet mein Volk!" - Manuskript einer Adventspredigt über Jesaja 40, 1-8
In der Ouvertüre zum zweiten Teil des Jesajabuchs ("Deuterojesaja") öffnet sich der Himmel. Voilà das Manuskript der am vierten Advent zu diesem Text (Jesaja 40, 1-8) gehaltenen Predigt zum Nachlesen in einer stillen Stunde während der Festtage.
Andreas Fischer,
Eingangsgebet
Gott
Ich stehe hier vor dir
im Dunkel des Advents,
im Dunkel dieser Zeit
und auch meines eigenen Lebens, über das schon manche Nacht gefallen ist.
Ich bitte dich: Hüll mich ein, hol mich herein in dein Licht. Geborgen in dir werde ich ursprünglich, einfach, rein. Ich verhülle nicht mehr mein Haupt. Ich werde selber licht. Ich atme, tief und weit und frei.
Wandere mit uns, Stern der Gotteshuld, jetzt auf dem Weg durch diese Feier, auf dem Weg durch den Advent, dem Lebensweg, dem Weg der Welt. Beglänzt von deinem Lichte hält uns kein Dunkel mehr.
Danke, dass du da bist, du, unser Gott. Amen.
Lied: „Die Nacht ist vorgedrungen“ (372,1-5)
Einleitung
„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern“ – so beginnt das Lied, das wir gehört haben. Es passt zum vierten Advent, wo „der Tag“, der Weihnachtstag tatsächlich schon ganz nah gekommen ist. Das Lied singt vom anbrechenden Tag, doch atmosphärisch liegt es noch tief im Dunkel.
Von Tränen der Nacht ist die Rede, von Angst und Pein, dann auch von Leid und Schuld, von Gericht und Recht und Sühne.
Die Worte erinnern an die ersten Zeilen des Textes aus dem Prophetenbuch Jesaja, den wir anschliessend hören – auch da ist von Schuld und Sünde die Rede. Um zu verstehen, was damit gemeint ist, hilft ein pointierter Satz des deutsch-amerikanischen Theologen Paul Tillich. Er schreibt:
„Sünde ist Entfremdung, Gnade ist Wiedervereinigung.“ (Theologie II, 66)
Sünde im Sinne von Entfremdung ist kein ein moralischer Begriff, sondern ein religiöser: Sünde beschreibt den Zustand, in dem wir herausgefallen sind aus der Einheit mit Gott, nicht mehr verbunden mit dem Ursprung. Sünde beschreibt den Zustand East of Eden, Jenseits von Eden. Sünde beschreibt den Zustand von uns allen.
Und Gnade meint dann das, was jetzt geschieht, in der „gnadenbringenden Weihnachtszeit“: die Wiederverbindung, die Wieder-Vereinigung mit Gott.
Von ihr erzählt das Gedicht, das wir nun hören. Es steht im 40. Kapitel, am Anfang des zweiten Teils des Prophetenbuchs Jesaja. Der erste Teil – Kapitel 1-39, endet mit der Ankündigung des babylonischen Exils. Dann verstummt Gott, 150 Jahre schweigt er.
Doch nun, im Exil, weit weg von zuhause, brechen die folgenden Worte aus dem Schweigen hervor:
Text: Jes. 40,1-11
I
40, 1 Tröstet, tröstet mein Volk!,
spricht euer Gott.
2 Redet zum Herzen Jerusalems und ruft ihr zu,
dass ihr Frondienst vollendet,
dass ihre Schuld abgetragen ist.
Aus der Hand des EWIGEN musste sie nehmen
das Doppelte für all ihre Sünden.
II
3 Horch, ein Rufer:
Bahnt den Weg des EWIGEN in der Wüste,
in der Steppe macht die Strasse gerade für unseren Gott!
4 Jedes Tal wird sich heben,
und senken werden sich alle Berge und Hügel,
und das Unebene wird flach,
und was hügelig ist, wird zur Ebene.
5 Und der Lichtglanz des EWIGEN wird sich offenbaren,
und gemeinsam wird alles Fleisch es sehen.
…
III
6 Horch, einer spricht: Rufe!
Und er sagt: Was soll ich rufen?
Alles Fleisch ist Gras,
und alles, was gut ist daran, ist wie die Blume auf dem Feld.
7 Das Gras vertrocknet,
die Blume verwelkt,
wenn der Atem des EWIGEN darüberweht.
…
8 Das Gras vertrocknet,
die Blume verwelkt,
das Wort unseres Gottes aber besteht für immer.
Predigt
In vielen Advents- und Weihnachtsliedern ist von einer absteigenden Bewegung die Rede: Im Lied, das wir später singen werden, heisst es: „O Heiland, reiss die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf… O komm, ach komm vom höchsten Saal und tröst uns hier im Jammertal“. In Luthers berühmtem Adventslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ ist es ein Engel, der absteigt, um uns „gute, neue Mär“ zu bringen. Immer ist es diese Bewegung von oben nach unten.
Eben diese Bewegung vollzieht auch der Text, den wir eben gehört haben, die Ouvertüre zum zweiten Teil des Prophetenbuchs Jesaja. Es ist Prolog im Himmel.
---
I
Ganz oben beginnt dieser Prolog, am obersten Punkt, im innersten Herzen Gottes, unzugänglich für uns Menschenkinder und sogar für die Engel. Dort spricht Gott die eindringlichen Worte, die als das grosse Thema über dem zweiten Teil des Jesaja-Buchs stehen: „Tröstet, tröstet mein Volk!“
Es sind dies Worte von ergreifender, erschütternder, erleuchtender Kraft. Ein Studienfreund von mir erzählte mir einst, wie er diese Worte im Urtext las: „Nachamu, nachamu ammi!“.
Die Worte überwältigten ihn, gefühlte Stunden lang habe er geweint, nicht etwa, weil er traurig war, nein, die Worte „haben zu seinem Herzen gesprochen“, wie es im Text heisst, sie trafen ihn mitten ins Herz. Da war Licht, da war Erlösung, da war die Gewissheit: Ich bin geborgen, geliebt, gesegnet.
„Nachamu, nachamu ammi! Tröstet, tröstet mein Volk!“ – diese Worte also spricht Gott im Anfang. Im Geheimen spricht er sie, auf der verborgenen Spitze der Himmelspyramide, dort im Nervenzentrum des Universums, wie es in einem Kommentar schön heisst (nach Brueggemann 19), dort formuliert Gott seinen Heilsplan.
Trösten meint dabei eine Zuwendung, die Schmerz, Trauer, Leid lindert – und sie meint mehr als das, nämlich eine Zuwendung, die Zerstörtes wiederherstellt, Zerbrochenes zusammenfügt, Verwundetes heilt, Verstreutes sammelt, Verlorenes sucht und findet. „Ich bin gekommen, das Verlorene zu suchen und zu retten“ – so fasst Jesus seine Mission und Message zusammen. Das also ist der im Nervenzentrum des Universums verborgene Heilsplan.
Nur einer erfährt von ihm. Es ist der oberste Engel, der beamtete Sprecher, die beamtete Sprecherin Gottes (Ellinger 6).
Sie, die Sprecherin, hatte eine Audienz bei Gott. Nun tritt sie hinaus und spricht zur himmlischen Versammlung, zur Engelschar, die hier nicht als singender Chor auftritt, sondern eher als Beamtenstab, der Aufträge entgegennimmt. Die Sprecherin Gottes sagt:
40, 1 Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.
2 Redet zum Herzen Jerusalems und ruft ihr zu,
dass ihr Frondienst vollendet,
dass ihre Schuld abgetragen ist.
Aus der Hand des EWIGEN musste sie nehmen
das Doppelte für all ihre Sünden.
Was mit diesem "Doppelten" gemeint ist, darüber rätselt die Forschung schon lange. Rechnend darf man das nicht hören, es geht nicht um Mathematik.
Vermutlich bringt „das Doppelte“ eine Steigerung über das Normalmass hinaus zum Ausdruck, ein Leiden, das nicht nur für die Menschen, sondern auch für Gott selber unerträglich geworden ist.
Vermutlich hat der Reformator Johannes Calvin Recht, wenn er schreibt:
„Damit will der Prophet nichts anderes sagen, als dass Gott mehr denn genug hat an all dem Elend und Jammer seines Volks.“ (99)
---
II
Soweit die Botschaft der Sprecherin Gottes an die Versammlung der Engel. Und nun:
3 Horch, ein Rufer:
Bahnt den Weg des EWIGEN in der Wüste,
in der Steppe macht die Strasse gerade für unseren Gott!
Nun tritt eine neue Figur auf den Plan – sie wird als „Rufer“ bezeichnet. Auch diese Figur ist ein Engel, ein „Rufer“-Engel.
Er ist Mitglied des Thronrats, der zuvor von der Sprecherin Gottes die Weisung erhalten hat, Gottes Volk zu trösten. Dieser Engel steht in der Engel-Hierarchie also eine Stufe unter der Sprecherin, die direkten Zugang zu Gott hat.
Hier zeichnet sich die Abwärtsbewegung ab, die Bewegung des Abstiegs, die adventliche Bewegung vom Himmel zur Erde. Man hat im Thronrat die Weisung: „Tröstet, tröstet mein Volk!“ verstanden. Nun erklärt der Rufer-Engel, wie die Weisung konkret umgesetzt werden soll:
Bahnt den Weg des EWIGEN in der Wüste,
in der Steppe macht die Strasse gerade für unseren Gott!
4 Jedes Tal wird sich heben,
und senken werden sich alle Berge und Hügel,
und das Unebene wird flach,
und was hügelig ist, wird zur Ebene.
5 Und der Lichtglanz des EWIGEN wird sich offenbaren,
und gemeinsam wird alles Fleisch es sehen.
Ein Weg soll also gebaut, eine Strasse gebahnt werden – ein „Highway“ gar, wie es in den englischen Übersetzungen heisst.
Es ist ein Motiv, das in den Advent passt, die Präparierung der Strassen passt in diese Zeit der Bereitung auf die Ankunft Jesu. Im Neuen Testament werden die Worte auf Johannes der Täufer bezogen:
Er, Johannes der Täufer, ist es, von dem durch den Propheten Jesaja gesagt ist:
Stimme eines Rufers in der Wüste:
Bereitet den Weg des Herrn,
macht gerade seine Strassen! (Mt. 3, 3)
Ein findiger Forscher fragt, wozu das Ganze eigentlich gut sein soll, diese Planierung in der vertikalen und diese Begradigung in der horizontalen Ebene – einmal abgesehen davon, dass sie einem aus moderner ökologischer Sicht sowieso nicht wirklich sympathisch ist. Für den Höchsten sind Höhenunterschiede nicht wirklich bedeutsam. (Ellinger 18)
A) Eine Antwort lautet: Der Highway in der Wüste soll gerade und eben sein, weil Gott nicht allein darauf einherzieht. „Der König kommt nicht ohne Gefolge“ (ebd.).
Das Volk zieht hinter ihm her, so wie es damals im Exodus aus Ägypten hinter der göttlichen Wolken- und Lichtsäule herzog. So wie es durch das Schilfmeer zog auf breiter Strasse, so zieht es jetzt auf dieser Wunderstrasse einher, hinaus aus dem Exil, das nun nicht mehr Ägypten, sondern Babylon heisst.
Der Exodus, dieser archetypische, dieser Ur-Weg der Befreiung trägt in sich eine Kraft, die weit über die Bibel hinaus reicht. „Let my people go!“, sangen auch die afro-amerikanischen Sklav*innen. „Let my people go!“ klingt nach auch jetzt, in diesen Corona-Zeiten, wo mit dem Advent die Sehnsucht nach Freiheit verbunden ist, nach Befreiung aus Isolation, Quarantäne, Reisebeschränkungen. Sehnsucht nach freiem Atmen, Lachen, Durcheinanderreden, Zusammensitzen, zusammen Essen, Feiern, Umarmen, Singen, Tanzen, unbegrenzter Mobilität.
Die Verheissung unseres Textes lautet, mit den schönen Worten des Reformators Johannes Calvin:
„Und wären alle Wege versperrt, kein Schlupfloch offen, - der EWIGE wird sich trotzdem mitsamt den Seinen einen Ausweg (einen Exodus) bahnen durch die Weglosigkeit.“ (nach 99)
B) Es gibt noch eine andere Lesart dieses zweiten Abschnitts unseres Textes. Sie ist für mich in diesem Corona-Advent besonders bedeutsam, sinnstiftend, wegweisend:
Johannes der Täufer ruft uns, jetzt im Advent, hinaus in die Wüste, diesen Ort der Besinnung, wo ich radikal auf mich selber zurückgeworfen bin. Diesen Ort der Umkehr, des Gebets, der Stille, wo ich allein bin mit meinem Gott. Dieses coronabedingte Allein-Zuhause-Sein, es hat etwas von einer Wüstenerfahrung. Und hier, eben hier in der Wüste, erscheint Gott, hier offenbart sich sein Lichtglanz, hier werden wir ihn sehen.
„Der Weg“, der in der Wüste gebaut und gebahnt werden soll – dieser Weg ist in diesem Zusammenhang metaphorisch zu verstehen. Er meint nicht den räumlichen Weg, sondern er meint den Lebens-Wandel.
Was mit „hüglig“ übersetzt wird in unserem Text, ist im Hebräischen ein Wort, das mit „Jakob“ verwandt – Jakob, der Bruder Esaus, der sich mit einem Trick die Erstgeburt erschlichen hat, er ist der Archetyp, die Ur-Figur des „Trügerisch-Listigen“ (Berges 107).
Dieses „Hüglige“ wird nun zur Ebene. Das entsprechende hebräische Wort meint eigentlich „Geradheit“, also „Geradlinigkeit“, Ehrlichkeit, Einfachheit, ein reines Herz. (Nach Berges)
Die Adventszeit vor Weihnachten ist ursprünglich wie die Passionszeit vor Ostern eine Fastenzeit. Zeit des Rückzugs, Zeit des Dunkels. Wüstenzeit. Diese ursprüngliche Bedeutung geht verloren im alljährlichen Glitzerglanz, der Einkaufshektik, dem Kommerz.
Dieses Jahr ist es anders. Wer weiss, vielleicht ist eben dies das Jahr, in dem der Lichtglanz des EWIGEN sich offenbart, schimmernd, leise, aber hörbar.
---
III
„Horch, einer spricht: ‚Rufe!‘“
So beginnt der dritte und letzte Abschnitt unseres Textes. Wir erinnern uns: Alles hatte angefangen am obersten Punkt der Himmelspyramide, im Nervenzentrum des Universums, in der Herz-Kammer Gottes.
Dann trat die Sprecherin aus dieser Kammer heraus und gab die göttliche Weisung an den himmlischen Thronrat weiter: „Tröstet, tröstet mein Volk!“.
Einer aus dem Rat, der „Rufer-Engel“ ordnete darauf die konkrete Umsetzung dieser Weisung an: den Bau des Wüstenwegs, auf dem Gott sich offenbaren soll.
Es geschieht also ein Abstieg vom obersten göttlichen Punkt über die Engelhierarchie bis hinunter zur Erde --- und bis hinunter zu uns Menschenkinder.
Tatsächlich ist es ein Mensch, der nun angesprochen wird, von einem Engel aus dem himmlischen Thronrat. Vielleicht ist es wieder der „Rufer-Engel“, vielleicht ein anderer.
Jedenfalls wird die Aufgabe zu rufen nun auf der Himmelsleiter nach unten weitergegeben, von einem Engel zu einem Menschen.
Der Angesprochene ist, vermutlich, der Prophet. Er hat diesen ganzen Prolog im Himmel in einer Vision gesehen. Bzw. mehr noch: Er hat den Prolog im Himmel in einer Audition gehört. Die Szene ist stark klanglich geprägt. Wie überhaupt die Bibel mehr ein Buch des Hörens als des Sehens ist. Der Hörsinn geht tief, geht hinunter in die Tiefenschichten des Bewusstseins.
Der Engel sagt also zum Propheten:
„Rufe!“
Dieser antwortet:
„Was soll ich rufen?“
Dieser Frage will nicht nur eine Information einholen. In dieser Frage steckt die ganze Müdigkeit, die Resignation, die Verzweiflung eines halben Jahrhunderts im Exil, vielleicht auch nach einem Jahr Corona.
Und mehr noch: Durch die konkrete Situation im babylonischen Exil hindurch klingt die conditio humana, die menschliche Situation an sich, unsere Vergänglichkeit, unsere Sterblichkeit. Der Prophet beschreibt sie mit ergreifenden Worten:
„Was soll ich rufen?
Alles Fleisch ist Gras,
und alles, was gut ist daran, ist wie die Blume auf dem Feld.
7 Das Gras vertrocknet,
die Blume verwelkt,
wenn der Atem des EWIGEN darüberweht.“
Das hebräische Wort für „Atem“, ruach, bedeutet auch Wind. Der Atem des Ewigen hat die Wirkung jener „schirokkoartigen Winde, die die Hitze der Wüste ins Kulturland tragen und mit einem Schlag die ganze vitale Frühlingspracht versengen.“ (Ellinger 25)
In dieser erschütternden Metaphorik beschreibt der Prophet unsere Vergänglichkeit. Der Engel bestätigt dies. Tatsächlich, sagt er:
„8 Das Gras vertrocknet, / die Blume verwelkt, / das Wort unseres Gottes aber besteht für immer.“
Diese Worte wären für uns Sterbliche kein wirklicher Trost, wenn die Trennung bestehen bliebe: Zwar würde das Wort Gottes für immer bestehen, doch in einem unzugänglichen Himmel, weit weg von hier. Und wir, wir wären eben dem Gras und der Blume gleich, wachsend, aufblühend, verdorrend, verwelkend.
Doch so sind die Worte nicht gemeint. Sie stehen am Ende dieser Bewegung, die sich durch den Prolog hindurchzieht: Die Bewegung vom Himmel zur Erde. Gott steigt hinab, in die Wüste, ins Exil hinein, hinein auch in unsere Herzen. „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ – so lautet der Spitzensatz eines anderen Prologs in der Bibel, jenes des Johannesevangeliums. Gott selber liegt im dürren Gras in der Krippe – so dichtet Luther im Lied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ in einer wunderbar kindlichen Strophe:
„Ach Herr, du Schöpfer aller Ding,
wie bist du worden so gering,
dass du da liegst auf dürrem Gras,
davon ein Kind und Esel ass!“
Hier, in diesem paradoxen Geschehen, dieser cointidentia oppositorum, diesem Zusammenkommen, Zusammenfallen der Gegensätze, hier geschieht das, was Paul Tillich „Wiedervereinigung“ nennt:
„Sünde ist Entfremdung, Gnade ist Wiedervereinigung“.
Sie geschieht jetzt, die Wiedervereinigung, in der „gnadenbringenden Weihnachtszeit“: Gott selber kommt in die Entfremdung hinein, ins Exil, ins Elend – was ursprünglich nichts anderes als „fremdes Land“ bedeutet.
In Luthers Lied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ heisst es schliesslich:
„Sie mir willkommen, edler Gast!
Den Sünder nicht verschmähet hast
und kommst ins Elend her zu mir,
wie soll ich immer danken dir?“
Gnadenbringende Weihnachtszeit wünsche ich uns! Amen.
Zwischenspiel
Einleitung zu den Fürbitten
„Tröstet, tröstet!“, „Wach auf, wach auf!“, „Raff dich auf, raff dich auf!“ – diese Doppelungen sind eine wichtige Stileigentümlichkeit im zweiten Teil des Prophetenbuchs Jesaja. Das Gleiche gilt für das Adventslied „O Heiland, reiss die Himmel auf“: „Herab, herab vom Himmel lauf“, „O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd“, „O komm, ach komm“, heisst es da. Die Doppelungen bringen Intensität und Dringlichkeit zum Ausdruck. Die drängende Kraft des ankommenden Gottes.
Wir beten mit Worten, die inspiriert sind von diesem Lied: „O Heiland, reiss die Himmel auf“.
Gott
Ich stehe hier vor dir
im Dunkel des Advents,
im Dunkel dieser Zeit
und auch meines eigenen Lebens, über das schon manche Nacht gefallen ist.
Ich bitte dich: Hüll mich ein, hol mich herein in dein Licht. Geborgen in dir werde ich ursprünglich, einfach, rein. Ich verhülle nicht mehr mein Haupt. Ich werde selber licht. Ich atme, tief und weit und frei.
Wandere mit uns, Stern der Gotteshuld, jetzt auf dem Weg durch diese Feier, auf dem Weg durch den Advent, dem Lebensweg, dem Weg der Welt. Beglänzt von deinem Lichte hält uns kein Dunkel mehr.
Danke, dass du da bist, du, unser Gott. Amen.
Lied: „Die Nacht ist vorgedrungen“ (372,1-5)
Einleitung
„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern“ – so beginnt das Lied, das wir gehört haben. Es passt zum vierten Advent, wo „der Tag“, der Weihnachtstag tatsächlich schon ganz nah gekommen ist. Das Lied singt vom anbrechenden Tag, doch atmosphärisch liegt es noch tief im Dunkel.
Von Tränen der Nacht ist die Rede, von Angst und Pein, dann auch von Leid und Schuld, von Gericht und Recht und Sühne.
Die Worte erinnern an die ersten Zeilen des Textes aus dem Prophetenbuch Jesaja, den wir anschliessend hören – auch da ist von Schuld und Sünde die Rede. Um zu verstehen, was damit gemeint ist, hilft ein pointierter Satz des deutsch-amerikanischen Theologen Paul Tillich. Er schreibt:
„Sünde ist Entfremdung, Gnade ist Wiedervereinigung.“ (Theologie II, 66)
Sünde im Sinne von Entfremdung ist kein ein moralischer Begriff, sondern ein religiöser: Sünde beschreibt den Zustand, in dem wir herausgefallen sind aus der Einheit mit Gott, nicht mehr verbunden mit dem Ursprung. Sünde beschreibt den Zustand East of Eden, Jenseits von Eden. Sünde beschreibt den Zustand von uns allen.
Und Gnade meint dann das, was jetzt geschieht, in der „gnadenbringenden Weihnachtszeit“: die Wiederverbindung, die Wieder-Vereinigung mit Gott.
Von ihr erzählt das Gedicht, das wir nun hören. Es steht im 40. Kapitel, am Anfang des zweiten Teils des Prophetenbuchs Jesaja. Der erste Teil – Kapitel 1-39, endet mit der Ankündigung des babylonischen Exils. Dann verstummt Gott, 150 Jahre schweigt er.
Doch nun, im Exil, weit weg von zuhause, brechen die folgenden Worte aus dem Schweigen hervor:
Text: Jes. 40,1-11
I
40, 1 Tröstet, tröstet mein Volk!,
spricht euer Gott.
2 Redet zum Herzen Jerusalems und ruft ihr zu,
dass ihr Frondienst vollendet,
dass ihre Schuld abgetragen ist.
Aus der Hand des EWIGEN musste sie nehmen
das Doppelte für all ihre Sünden.
II
3 Horch, ein Rufer:
Bahnt den Weg des EWIGEN in der Wüste,
in der Steppe macht die Strasse gerade für unseren Gott!
4 Jedes Tal wird sich heben,
und senken werden sich alle Berge und Hügel,
und das Unebene wird flach,
und was hügelig ist, wird zur Ebene.
5 Und der Lichtglanz des EWIGEN wird sich offenbaren,
und gemeinsam wird alles Fleisch es sehen.
…
III
6 Horch, einer spricht: Rufe!
Und er sagt: Was soll ich rufen?
Alles Fleisch ist Gras,
und alles, was gut ist daran, ist wie die Blume auf dem Feld.
7 Das Gras vertrocknet,
die Blume verwelkt,
wenn der Atem des EWIGEN darüberweht.
…
8 Das Gras vertrocknet,
die Blume verwelkt,
das Wort unseres Gottes aber besteht für immer.
Predigt
In vielen Advents- und Weihnachtsliedern ist von einer absteigenden Bewegung die Rede: Im Lied, das wir später singen werden, heisst es: „O Heiland, reiss die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf… O komm, ach komm vom höchsten Saal und tröst uns hier im Jammertal“. In Luthers berühmtem Adventslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ ist es ein Engel, der absteigt, um uns „gute, neue Mär“ zu bringen. Immer ist es diese Bewegung von oben nach unten.
Eben diese Bewegung vollzieht auch der Text, den wir eben gehört haben, die Ouvertüre zum zweiten Teil des Prophetenbuchs Jesaja. Es ist Prolog im Himmel.
---
I
Ganz oben beginnt dieser Prolog, am obersten Punkt, im innersten Herzen Gottes, unzugänglich für uns Menschenkinder und sogar für die Engel. Dort spricht Gott die eindringlichen Worte, die als das grosse Thema über dem zweiten Teil des Jesaja-Buchs stehen: „Tröstet, tröstet mein Volk!“
Es sind dies Worte von ergreifender, erschütternder, erleuchtender Kraft. Ein Studienfreund von mir erzählte mir einst, wie er diese Worte im Urtext las: „Nachamu, nachamu ammi!“.
Die Worte überwältigten ihn, gefühlte Stunden lang habe er geweint, nicht etwa, weil er traurig war, nein, die Worte „haben zu seinem Herzen gesprochen“, wie es im Text heisst, sie trafen ihn mitten ins Herz. Da war Licht, da war Erlösung, da war die Gewissheit: Ich bin geborgen, geliebt, gesegnet.
„Nachamu, nachamu ammi! Tröstet, tröstet mein Volk!“ – diese Worte also spricht Gott im Anfang. Im Geheimen spricht er sie, auf der verborgenen Spitze der Himmelspyramide, dort im Nervenzentrum des Universums, wie es in einem Kommentar schön heisst (nach Brueggemann 19), dort formuliert Gott seinen Heilsplan.
Trösten meint dabei eine Zuwendung, die Schmerz, Trauer, Leid lindert – und sie meint mehr als das, nämlich eine Zuwendung, die Zerstörtes wiederherstellt, Zerbrochenes zusammenfügt, Verwundetes heilt, Verstreutes sammelt, Verlorenes sucht und findet. „Ich bin gekommen, das Verlorene zu suchen und zu retten“ – so fasst Jesus seine Mission und Message zusammen. Das also ist der im Nervenzentrum des Universums verborgene Heilsplan.
Nur einer erfährt von ihm. Es ist der oberste Engel, der beamtete Sprecher, die beamtete Sprecherin Gottes (Ellinger 6).
Sie, die Sprecherin, hatte eine Audienz bei Gott. Nun tritt sie hinaus und spricht zur himmlischen Versammlung, zur Engelschar, die hier nicht als singender Chor auftritt, sondern eher als Beamtenstab, der Aufträge entgegennimmt. Die Sprecherin Gottes sagt:
40, 1 Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.
2 Redet zum Herzen Jerusalems und ruft ihr zu,
dass ihr Frondienst vollendet,
dass ihre Schuld abgetragen ist.
Aus der Hand des EWIGEN musste sie nehmen
das Doppelte für all ihre Sünden.
Was mit diesem "Doppelten" gemeint ist, darüber rätselt die Forschung schon lange. Rechnend darf man das nicht hören, es geht nicht um Mathematik.
Vermutlich bringt „das Doppelte“ eine Steigerung über das Normalmass hinaus zum Ausdruck, ein Leiden, das nicht nur für die Menschen, sondern auch für Gott selber unerträglich geworden ist.
Vermutlich hat der Reformator Johannes Calvin Recht, wenn er schreibt:
„Damit will der Prophet nichts anderes sagen, als dass Gott mehr denn genug hat an all dem Elend und Jammer seines Volks.“ (99)
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II
Soweit die Botschaft der Sprecherin Gottes an die Versammlung der Engel. Und nun:
3 Horch, ein Rufer:
Bahnt den Weg des EWIGEN in der Wüste,
in der Steppe macht die Strasse gerade für unseren Gott!
Nun tritt eine neue Figur auf den Plan – sie wird als „Rufer“ bezeichnet. Auch diese Figur ist ein Engel, ein „Rufer“-Engel.
Er ist Mitglied des Thronrats, der zuvor von der Sprecherin Gottes die Weisung erhalten hat, Gottes Volk zu trösten. Dieser Engel steht in der Engel-Hierarchie also eine Stufe unter der Sprecherin, die direkten Zugang zu Gott hat.
Hier zeichnet sich die Abwärtsbewegung ab, die Bewegung des Abstiegs, die adventliche Bewegung vom Himmel zur Erde. Man hat im Thronrat die Weisung: „Tröstet, tröstet mein Volk!“ verstanden. Nun erklärt der Rufer-Engel, wie die Weisung konkret umgesetzt werden soll:
Bahnt den Weg des EWIGEN in der Wüste,
in der Steppe macht die Strasse gerade für unseren Gott!
4 Jedes Tal wird sich heben,
und senken werden sich alle Berge und Hügel,
und das Unebene wird flach,
und was hügelig ist, wird zur Ebene.
5 Und der Lichtglanz des EWIGEN wird sich offenbaren,
und gemeinsam wird alles Fleisch es sehen.
Ein Weg soll also gebaut, eine Strasse gebahnt werden – ein „Highway“ gar, wie es in den englischen Übersetzungen heisst.
Es ist ein Motiv, das in den Advent passt, die Präparierung der Strassen passt in diese Zeit der Bereitung auf die Ankunft Jesu. Im Neuen Testament werden die Worte auf Johannes der Täufer bezogen:
Er, Johannes der Täufer, ist es, von dem durch den Propheten Jesaja gesagt ist:
Stimme eines Rufers in der Wüste:
Bereitet den Weg des Herrn,
macht gerade seine Strassen! (Mt. 3, 3)
Ein findiger Forscher fragt, wozu das Ganze eigentlich gut sein soll, diese Planierung in der vertikalen und diese Begradigung in der horizontalen Ebene – einmal abgesehen davon, dass sie einem aus moderner ökologischer Sicht sowieso nicht wirklich sympathisch ist. Für den Höchsten sind Höhenunterschiede nicht wirklich bedeutsam. (Ellinger 18)
A) Eine Antwort lautet: Der Highway in der Wüste soll gerade und eben sein, weil Gott nicht allein darauf einherzieht. „Der König kommt nicht ohne Gefolge“ (ebd.).
Das Volk zieht hinter ihm her, so wie es damals im Exodus aus Ägypten hinter der göttlichen Wolken- und Lichtsäule herzog. So wie es durch das Schilfmeer zog auf breiter Strasse, so zieht es jetzt auf dieser Wunderstrasse einher, hinaus aus dem Exil, das nun nicht mehr Ägypten, sondern Babylon heisst.
Der Exodus, dieser archetypische, dieser Ur-Weg der Befreiung trägt in sich eine Kraft, die weit über die Bibel hinaus reicht. „Let my people go!“, sangen auch die afro-amerikanischen Sklav*innen. „Let my people go!“ klingt nach auch jetzt, in diesen Corona-Zeiten, wo mit dem Advent die Sehnsucht nach Freiheit verbunden ist, nach Befreiung aus Isolation, Quarantäne, Reisebeschränkungen. Sehnsucht nach freiem Atmen, Lachen, Durcheinanderreden, Zusammensitzen, zusammen Essen, Feiern, Umarmen, Singen, Tanzen, unbegrenzter Mobilität.
Die Verheissung unseres Textes lautet, mit den schönen Worten des Reformators Johannes Calvin:
„Und wären alle Wege versperrt, kein Schlupfloch offen, - der EWIGE wird sich trotzdem mitsamt den Seinen einen Ausweg (einen Exodus) bahnen durch die Weglosigkeit.“ (nach 99)
B) Es gibt noch eine andere Lesart dieses zweiten Abschnitts unseres Textes. Sie ist für mich in diesem Corona-Advent besonders bedeutsam, sinnstiftend, wegweisend:
Johannes der Täufer ruft uns, jetzt im Advent, hinaus in die Wüste, diesen Ort der Besinnung, wo ich radikal auf mich selber zurückgeworfen bin. Diesen Ort der Umkehr, des Gebets, der Stille, wo ich allein bin mit meinem Gott. Dieses coronabedingte Allein-Zuhause-Sein, es hat etwas von einer Wüstenerfahrung. Und hier, eben hier in der Wüste, erscheint Gott, hier offenbart sich sein Lichtglanz, hier werden wir ihn sehen.
„Der Weg“, der in der Wüste gebaut und gebahnt werden soll – dieser Weg ist in diesem Zusammenhang metaphorisch zu verstehen. Er meint nicht den räumlichen Weg, sondern er meint den Lebens-Wandel.
Was mit „hüglig“ übersetzt wird in unserem Text, ist im Hebräischen ein Wort, das mit „Jakob“ verwandt – Jakob, der Bruder Esaus, der sich mit einem Trick die Erstgeburt erschlichen hat, er ist der Archetyp, die Ur-Figur des „Trügerisch-Listigen“ (Berges 107).
Dieses „Hüglige“ wird nun zur Ebene. Das entsprechende hebräische Wort meint eigentlich „Geradheit“, also „Geradlinigkeit“, Ehrlichkeit, Einfachheit, ein reines Herz. (Nach Berges)
Die Adventszeit vor Weihnachten ist ursprünglich wie die Passionszeit vor Ostern eine Fastenzeit. Zeit des Rückzugs, Zeit des Dunkels. Wüstenzeit. Diese ursprüngliche Bedeutung geht verloren im alljährlichen Glitzerglanz, der Einkaufshektik, dem Kommerz.
Dieses Jahr ist es anders. Wer weiss, vielleicht ist eben dies das Jahr, in dem der Lichtglanz des EWIGEN sich offenbart, schimmernd, leise, aber hörbar.
---
III
„Horch, einer spricht: ‚Rufe!‘“
So beginnt der dritte und letzte Abschnitt unseres Textes. Wir erinnern uns: Alles hatte angefangen am obersten Punkt der Himmelspyramide, im Nervenzentrum des Universums, in der Herz-Kammer Gottes.
Dann trat die Sprecherin aus dieser Kammer heraus und gab die göttliche Weisung an den himmlischen Thronrat weiter: „Tröstet, tröstet mein Volk!“.
Einer aus dem Rat, der „Rufer-Engel“ ordnete darauf die konkrete Umsetzung dieser Weisung an: den Bau des Wüstenwegs, auf dem Gott sich offenbaren soll.
Es geschieht also ein Abstieg vom obersten göttlichen Punkt über die Engelhierarchie bis hinunter zur Erde --- und bis hinunter zu uns Menschenkinder.
Tatsächlich ist es ein Mensch, der nun angesprochen wird, von einem Engel aus dem himmlischen Thronrat. Vielleicht ist es wieder der „Rufer-Engel“, vielleicht ein anderer.
Jedenfalls wird die Aufgabe zu rufen nun auf der Himmelsleiter nach unten weitergegeben, von einem Engel zu einem Menschen.
Der Angesprochene ist, vermutlich, der Prophet. Er hat diesen ganzen Prolog im Himmel in einer Vision gesehen. Bzw. mehr noch: Er hat den Prolog im Himmel in einer Audition gehört. Die Szene ist stark klanglich geprägt. Wie überhaupt die Bibel mehr ein Buch des Hörens als des Sehens ist. Der Hörsinn geht tief, geht hinunter in die Tiefenschichten des Bewusstseins.
Der Engel sagt also zum Propheten:
„Rufe!“
Dieser antwortet:
„Was soll ich rufen?“
Dieser Frage will nicht nur eine Information einholen. In dieser Frage steckt die ganze Müdigkeit, die Resignation, die Verzweiflung eines halben Jahrhunderts im Exil, vielleicht auch nach einem Jahr Corona.
Und mehr noch: Durch die konkrete Situation im babylonischen Exil hindurch klingt die conditio humana, die menschliche Situation an sich, unsere Vergänglichkeit, unsere Sterblichkeit. Der Prophet beschreibt sie mit ergreifenden Worten:
„Was soll ich rufen?
Alles Fleisch ist Gras,
und alles, was gut ist daran, ist wie die Blume auf dem Feld.
7 Das Gras vertrocknet,
die Blume verwelkt,
wenn der Atem des EWIGEN darüberweht.“
Das hebräische Wort für „Atem“, ruach, bedeutet auch Wind. Der Atem des Ewigen hat die Wirkung jener „schirokkoartigen Winde, die die Hitze der Wüste ins Kulturland tragen und mit einem Schlag die ganze vitale Frühlingspracht versengen.“ (Ellinger 25)
In dieser erschütternden Metaphorik beschreibt der Prophet unsere Vergänglichkeit. Der Engel bestätigt dies. Tatsächlich, sagt er:
„8 Das Gras vertrocknet, / die Blume verwelkt, / das Wort unseres Gottes aber besteht für immer.“
Diese Worte wären für uns Sterbliche kein wirklicher Trost, wenn die Trennung bestehen bliebe: Zwar würde das Wort Gottes für immer bestehen, doch in einem unzugänglichen Himmel, weit weg von hier. Und wir, wir wären eben dem Gras und der Blume gleich, wachsend, aufblühend, verdorrend, verwelkend.
Doch so sind die Worte nicht gemeint. Sie stehen am Ende dieser Bewegung, die sich durch den Prolog hindurchzieht: Die Bewegung vom Himmel zur Erde. Gott steigt hinab, in die Wüste, ins Exil hinein, hinein auch in unsere Herzen. „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ – so lautet der Spitzensatz eines anderen Prologs in der Bibel, jenes des Johannesevangeliums. Gott selber liegt im dürren Gras in der Krippe – so dichtet Luther im Lied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ in einer wunderbar kindlichen Strophe:
„Ach Herr, du Schöpfer aller Ding,
wie bist du worden so gering,
dass du da liegst auf dürrem Gras,
davon ein Kind und Esel ass!“
Hier, in diesem paradoxen Geschehen, dieser cointidentia oppositorum, diesem Zusammenkommen, Zusammenfallen der Gegensätze, hier geschieht das, was Paul Tillich „Wiedervereinigung“ nennt:
„Sünde ist Entfremdung, Gnade ist Wiedervereinigung“.
Sie geschieht jetzt, die Wiedervereinigung, in der „gnadenbringenden Weihnachtszeit“: Gott selber kommt in die Entfremdung hinein, ins Exil, ins Elend – was ursprünglich nichts anderes als „fremdes Land“ bedeutet.
In Luthers Lied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ heisst es schliesslich:
„Sie mir willkommen, edler Gast!
Den Sünder nicht verschmähet hast
und kommst ins Elend her zu mir,
wie soll ich immer danken dir?“
Gnadenbringende Weihnachtszeit wünsche ich uns! Amen.
Zwischenspiel
Einleitung zu den Fürbitten
„Tröstet, tröstet!“, „Wach auf, wach auf!“, „Raff dich auf, raff dich auf!“ – diese Doppelungen sind eine wichtige Stileigentümlichkeit im zweiten Teil des Prophetenbuchs Jesaja. Das Gleiche gilt für das Adventslied „O Heiland, reiss die Himmel auf“: „Herab, herab vom Himmel lauf“, „O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd“, „O komm, ach komm“, heisst es da. Die Doppelungen bringen Intensität und Dringlichkeit zum Ausdruck. Die drängende Kraft des ankommenden Gottes.
Wir beten mit Worten, die inspiriert sind von diesem Lied: „O Heiland, reiss die Himmel auf“.