Gottesdienst mit Vernissage der Ausstellung Schätti/Hollenstein

Antikes Grabkreuz Kaiseraugst (Foto: Jutta Wurm)
Musik: Assel Abilseitova
Kollekte: Natur- und Vogelschutzverein Kaiseraugst
Die » Ausstellung mit Laubsägearbeiten von Erich Schätti sowie Skulpturen von Toni Hollenstein ist eine spontan-kurzfristige Aktion, auf die man sich sehr gern einlässt. Nichtsdestotrotz möchte ich am Plan festhalten, in meinen Predigten in der Passionszeit bis und mit Osternacht noch ein paar Texte aus dem Markusevangelium anzuschauen, auch wenn diese keinen Zusammenhang mit der Ausstellung haben. Einen leisen und nicht ganz humorlosen Berührungspunkt wird es aber geben.

Herzliche Einladung also zum Gottesdienst und zur anschliessenden Vernissage mit Apero!

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Wer sich auf die Predigt vorbereiten will, kann hier den Text und einige Notizen dazu studieren:

Die Gefangennahme: Mk 14, 43-52

43 Und sogleich, noch während er redet, kommt Judas herbei, einer von den Zwölfen, und mit ihm eine Schar mit Schwertern und Knüppeln, im Auftrag der Hohen Priester und Schriftgelehrten und Ältesten. 44 Der ihn aber auslieferte, hatte mit ihnen ein Zeichen verabredet: Den ich küssen werde, der ist es. Den nehmt fest und führt ihn sicher ab.

45 Und er kommt und geht sogleich auf ihn zu und sagt: Rabbi!, und küsste ihn. 46 Sie aber ergriffen ihn und nahmen ihn fest.

47 Doch einer von denen, die dabeistanden, zog das Schwert, schlug nach dem Knecht des Hohen Priesters und hieb ihm das Ohr ab.

48 Da sagte Jesus zu ihnen: Wie gegen einen Räuber seid ihr ausgezogen, mit Schwertern und Knüppeln, mich gefangen zu nehmen? 49 Tag für Tag war ich bei euch im Tempel und lehrte, und ihr habt mich nicht festgenommen. Aber die Schriften sollen erfüllt werden.

50 Da verliessen ihn alle und flohen.

51 Ein junger Mann folgte ihm, bekleidet mit einem leinenen Tuch auf blossem Leib, und sie greifen nach ihm. 52 Er aber liess das Tuch fahren und floh nackt.


Notizen:

43 Und sogleich, noch während er redet, kommt Judas herbei, einer von den Zwölfen, und mit ihm eine Schar mit Schwertern und Knüppeln, im Auftrag der Hohen Priester und Schriftgelehrten und Ältesten.

Mit „sogleich“ (ein Lieblingswort der Markus) und „während er noch redete“ (Gen. abs.) wird die Szene eng an die vorhergehende Getsemani-Szene angeschlossen. „Jesu Wort löst geradezu das Geschehen aus“, heisst es in einem Kommentar (Grundmann 295) – eine Beobachtung, die zur Souveränität passt, mit der Jesus nun auftritt; obwohl er gefangen genommen wird, ist er Herr des Geschehens; in seiner Passion ist er der eigentliche Akteur!

Atmosphärisch ändert sich die Situation gegenüber Getsemani radikal: Zuvor war Jesus einsam im Garten, jetzt treten viele Menschen auf, es kommt zu tumulthaften Szenen (Eckey, Gnilka).

Noch einmal wird betont hervorgehoben, dass Judas „einer von den Zwölf“ gewesen ist und also zum innersten Kreis Jesu gehörte. Man hat in der Forschung vermutet, dass dies ein Hinweis darauf sei, dass dieser Abschnitt ursprünglich als „Einzelerzählung“ überliefert worden ist (Schniewind). Doch viel eher geht es doch darum, sich diese Tatsache noch einmal zu vergegenwärtigen: Der Verräter stammt aus dem inner circle.

Weiter werden alle drei Fraktionen des Hohen Rats genannt, also der ganze „gewichtige Dreiklang“ (Schweizer). Die Gefangennahme ist eine sorgfältig orchestrierte und offizielle Aktion, sie erfolgt wohl durch ein Kommando der Tempelwache (Eckey).

In den älteren Kommentaren wird das anders gesehen, dort heisst es, es handle sich um eine notdürftig bewaffnete, eilig zusammengetrommelte Truppe (vgl. Grundmann, Schniewind). Doch die Schlagstöcke reichen, um einen Menschen zu töten, sogar römische Soldaten sind teilweise mit ihnen ausgerüstet (Gnilka).

44 Der ihn aber auslieferte, hatte mit ihnen ein Zeichen verabredet: Den ich küssen werde, der ist es. Den nehmt fest und führt ihn sicher ab.

Judas wird in der Passionsgeschichte als „o paradidous“, „der Auslieferer“ bezeichnet. „Ausliefern“ ist das wichtigste Leitwort in der Passionsgeschichte. Das Wort deutet subtil „das Ineinander von menschlicher Tat und göttlicher Bestimmung“ (Schweizer): Judas vollzieht jene Auslieferung, die früher im Markusevangelium Jesus selber ankündigt – und zwar als göttliches Geschehen (passivum divinum):

„Der Menschensohn wird ausgeliefert in die Hände von Menschen, und sie werden ihn töten, und wenn er getötet worden ist, wird er nach drei Tagen auferstehen.“ (9, 31; nach Schweizer 159)

„Das Zeichen des Judaskusses ist seltsam“ (Schweizer): Sollte Jesus der Tempelwache tatsächlich nicht bekannt gewesen sein? Oder war er in der nächtlichen Dunkelheit schwierig zu identifizieren? Einleuchtender ist die Vermutung Schweizers, dass es hier „wie bei einem Gemälde“ die innere Haltung des Judas in einer Geste zum Ausdruck zu bringen.

Die Begrüssung des Rabbi durch seinen Schüler mit einem Kuss „war üblich“ (Eckey). Zugleich weiss das Alte Testament um die Hinterhältigkeit, die mit einem Kuss verbunden sein kann. „Trügerisch sind die Küsse des Hassers“, heisst es in den Sprüchen (27, 6b). Ein grausiges Beispiel ist der heimtückische Mord des Joab an seinem Konkurrenten und Cousin Amasa:

„Joab sagte zu Amasa: Geht es dir gut, mein Bruder? Dann fasste Joab Amasa mit der rechten Hand am Bart, um ihn zu küssen. Amasa aber war nicht auf der Hut vor dem Schwert, das in Joabs Hand war. Da stiess dieser es ihm in den Bauch. Und seine Eingeweide ergossen sich auf die Erde, er aber gab ihm keinen zweiten Stoss, und er starb.“ (2. Sam 20, 9f.)

Der Kuss ist also vordergründig Zeichen der Zuneigung des Schülers zu seinem Rabbi. Doch die Zuneigung ist trügerisch, gleich jenem des Joab, der seit alters als „Prototyp des Judaskuss“ gilt (Dschulnigg).

45 Und er kommt und geht sogleich auf ihn zu und sagt: Rabbi!, und küsste ihn. 46 Sie aber ergriffen ihn und nahmen ihn fest.

Das griechische Wort, das hier mit „küssen“ übersetzt wird, ist gegenüber dem vorhergehenden noch intensiver. Es meint eine intensive, innige Umarmung.

Die Ehrenbezeichnung „Rabbi“ („mein Grosser“) sie ist im Mk sonst Petrus vorbehalten (Gnilka 269). Sie bringt die grosse Nähe zwischen Jesus und Judas zum Ausdruck, die letzterer missbraucht. Oder spürt Judas bei allem, was er tut, dass Jesus sein Meister ist? Alles in dieser Szene wie in der ganzen Passionsgeschichte ist doppelbödig. Auch die Aktion, die nun folgt:

„Im Moment des Judaskusses treten die Männer des Verhaftungskommandos blitzschnell aus dem Dunkel hervor und greifen zu.“ (Eckey) Damit ist der „Plan“ des Hohen Rats und des Judas umgesetzt. Doch auf einer anderen, tieferen Ebene erfüllt sich hier eben auch die Weissagung des Menschensohns, dass er in die Hände von Sündern ausgeliefert wird (V. 41; vgl. die Leidensankündigung 9, 31!)

47 Doch einer von denen, die dabeistanden, zog das Schwert, schlug nach dem Knecht des Hohen Priesters und hieb ihm das Ohr ab.

Die Szene ist berühmt, im Johannesevangelium ist es Petrus, der zuschlägt, im Lukasevangelium heilt Jesus den Verwundeten, im Matthäusevangelium spricht er die berühmten Worte:
„Steck dein Schwert an seinen Ort! Denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.“

Hier, im Mk, dem ältesten der vier Evangelien, steht von alledem nichts. Die Aktion steht für sich und scheint irgendwie sinnlos zu sein. Ist es der Versuch eines Befreiungsschlags? Einer der Dabeistehenden „greift nach seinem Kurzschwert, das zur Kleidung des freien Mannes gehört und auch an Festtagen zur eventuellen Selbstverteidigung getragen werden darf“ (Eckey). Er trifft einen Sklaven des Hohepriesters, möglicherweise den Anführer des Kommandos und fügt ihm eine Kopfverletzung zu.

Nicht undenkbar, dass darin „eine gewisse Schadenfreude“ zum Ausdruck kommt gegenüber diesem Knecht des Hohepriesters (übrigens ein Würdename, gemäss Gnilka 270),

Möglicherweise hat das „abgehauene Ohr“ eine symbolische Bedeutung: Es ist ein „Schandmal, das den Mann als Verbrecher kennzeichnet“ (Eckey).

Doch am meisten leuchtet mir die Deutung von Schweizer ein: Der Zwischenfall sei, vermutet er, historisch. Er werde ohne theologische Absicht erzählt. Doch gerade so, „mit seiner lächerlichen Unwirksamkeit“, zeigt die Aktion, wie absolut wehrlos Jesus ist.

48 Da sagte Jesus zu ihnen: Wie gegen einen Räuber seid ihr ausgezogen, mit Schwertern und Knüppeln, mich gefangen zu nehmen? 49 Tag für Tag war ich bei euch im Tempel und lehrte, und ihr habt mich nicht festgenommen. Aber die Schriften sollen erfüllt werden.

Die Antwort Jesu nimmt in der Version des Mk keinen Bezug auf die vorangehende Aktion. Stattdessen wendet er sich in einer souveränen Haltung dem Verhaftungskommando zu. Sie hätten, sagt er, ihn auch mit weniger Aufwand festnehmen können. Er war ja tagtäglich – eine andere Übersetzungsmöglichkeit ist: „tagsüber“, also im Gegensatz zu jetzt, in der Nacht – im Tempel. Doch nun überwältigen sie ihn wie einen Schwerverbrecher. Mit demselben Wort werden, übrigens, später die beiden Mitgekreuzigten bezeichnet. Der Grund für dieses Vorgehen der Tempelwache bezeichnet Jesus mit einem im griechischen Urtext verkürzten Satz – es ist eine sogenannte Ellipse: „Aber damit erfüllt werden die Schriften“, heisst es wörtlich.

Eine berühmte Schriftstelle, an die man denken mag, steht in einem der sog. Gottesknechtslieder beim Propheten Jesaja: „Der EWIGE liess ihn treffen unser aller Schuld.“ (Jes. 53, 6). Doch Markus verzichtet darauf, konkrete Stellen aus dem Alten Testament zu zitieren – der Satz ist ähnlich dicht wie jener Bekenntnissatz im 1. Korintherbrief: „dass Christus gestorben ist … nach den Schriften“ (15, 3b).

Es fehlt, wie Eduard Schweizer beobachtet, „auch jeder Vorwurf an Judas, ja sogar an die Häscher, denen nur die Art ihres Vorgehens, nicht dieses selbst vorgeworfen wird.“

Denn: „in der Tiefe spielt sich etwas ganz anderes ab.“ Dieses andere beschreibt Schweizer mit dem folgenden Spitzensatz: „Wesentlich ist, dass mitten durch menschliche Schuld hindurch der von Gott gewollte Weg gegangen wird, der das Heil der Welt bedeutet.“ (vgl. auch Eckey 468)

50 Da verliessen ihn alle und flohen.

„Zur Aktion wären sie willens gewesen. Der Passion sind sie nicht gewachsen“, schreibt Kurt Marti pointiert (322). Nun ist die Einsamkeit Jesu total. Und desgleichen das Grounding der Jünger – es entspricht der Ankündigung Jesu kurz zuvor, dass „alle“ zu Fall kommen werden (V. 27). Das Leiden des Gerechten ist ein Topos des Alten Testaments, von dem her das Schicksal Jesu im Neuen Testament gedeutet wird. Zu diesem Leiden gehört auch das Verlassenwerden von den einem nahestehenden Menschen: „Entfremdet hast du mir Freund und Gefährten, / mein Vertrauter ist die Finsternis“, heisst es zum Beispiel in einem Psalm (88, 19; weitere Belege Dschulnigg 376) Etwas humorvoller stellt der Talmud fest: „An der Tür des Krämerladens gibt es viele Brüder und Freunde, an der Tür des Gefängnisses gibt es keine Brüder und Freunde.“ (Gnilka 271)

51 Ein junger Mann folgte ihm, bekleidet mit einem leinenen Tuch auf blossem Leib, und sie greifen nach ihm. 52 Er aber liess das Tuch fahren und floh nackt.

Der Abschnitt endet mit einer sehr merkwürdigen „kleinen Episode“ (Schweizer). Schweizer meint, sie verstärke noch den Eindruck, dass hier nur noch das Motto gilt: „Rette sich, wer kann“. Doch möglicherweise hat hier der Autor des Markusevangeliums eine „literarische Spur“ von sich selber hinterlassen – „so wie alte Meister auf ihren Gemälden sich in einer Ecke bescheiden erscheinen lassen“ (Marti). Vielleicht war er, dessen Elternhaus in Jerusalem stand (vgl. Apg 12, 12ff und Eckey 469), tatsächlich Augenzeuge der Inhaftierung Jesu.

Dass die anderen Evangelisten die Episode weglassen, vermutlich, weil sie sie für bedeutungslos hielten, spricht tendenziell für ihre Historizität.

Gleichzeit ist sie literarisch verdichtet, mit vermutlich beabsichtigten innertextlichen und biblischen Bezügen.

Innertextlich steht der nackt fliehende Jüngling gleichsam zwischen Jesus und den Jüngern. Das lässt sich sprachlich schön aufzeigen: Die beiden wichtigsten Verben des Abschnitts sind „greifen“ (4x) und „fliehen“ (2x). „Greifen“ bzw. „ergriffen werden“ wird in Bezug auf Jesus ausgesagt, „fliehen“ in Bezug auf die Jünger. Beim Jüngling kommt beides zusammen: Er wird ergriffen, und er flieht. (Gnilka 268)

Nicht ganz undenkbar scheint mir, dass der Bezug innerhalb des Mk nicht zufällig ist: Ein „Jüngling“ taucht noch einmal auf, nämlich beim leeren Grab. Während Jesu Leichnam wie der Jüngling in unserer Geschichte mit einem „Leinentuch“ umhüllt ist, trägt jener „Jüngling“ ein leuchtendes Gewand (16, 5)

Was die biblischen Bezüge anbelangt, wird im Alten Testament von Josef Ähnliches erzählt:

„Da fasste die Frau Potifars ihn beim Kleid und sagte: Lege dich zu mir! Er aber liess sein Kleid in ihrer Hand, ergriff die Flucht und lief hinaus.“ (Gen 39, 12)

Und beim Propheten Amos spricht Gott selbst:

„Auch wer mutig ist unter den Helden,
flieht nackt an jenem Tag!“ (Am 2, 16)

„Jener Tag“, der „Tag des HERRN“ bricht für Mk an in dem Moment, wo Jesus schreit und stirbt – und dann eine Finsternis über das ganze Land hereinbricht, von der sechsten bis zur neunten Stunde, also vom Mittag bis am Nachmittag um drei Uhr, gemäss einer weiteren Verheissung des Propheten Amos:

„Und an jenem Tag, Spruch Gottes des EWIGEN,
lasse ich die Sonne untergehen am Mittag,
da bringe ich Finsternis über die Erde am helllichten Tag.“ (Am 8, 9)

Die Flucht der Jünger, bis zum allerletzten und diesem noch nackt, wäre, so gesehen, „apokalyptisches Ereignis“ (Grundmann)

Dass die Nacktheit auch eine symbolische Ebene hat und alle betrifft, betont Kurt Marti: Die Fliehenden sind ihrer Illusionen und Erwartungen, vielleicht auch ihrer Selbstachtung beraubt (nach 322)
Kontakt: Pfr. Andreas Fischer