Eine kleine Insel im Meer des Konsumrauschs

Elisabeth Grunder, Beat Vosseler, Erika Sollberger (v.l.), Rosmarie Henz (u.) (Foto: Andreas Fischer)
Elisabeth Grunder, Beat Vosseler, Erika Sollberger (v.l.), Rosmarie Henz (u.) (Foto: Andreas Fischer)
Nach zwei Stunden verlasse ich den Laden mit einem vollbepackten «With Love & Care»-Papiersack von «claro fair trade». Und einem eigenartigen Gefühlsmix aus Heiterkeit, Nostalgie, Melancholie. Ist es wirklich eine versinkende Welt, in die ich da Einblick erhalten habe?
Andreas Fischer,
An einem trüben Morgen im März spaziere ich die Geissgasse runter und tritt ein in einen hellen Raum. Die Klischees und Etiketten, die mir noch im Sinn sind – der müffelige Geruch von Jute, das schmürzelige Kupfer-Wolle-Bast-Image – bleiben aussenvor. Hier drinnen wirkt alles farbig, frisch, freundlich, modern.

Erika Sollberger, die für die Einrichtung zuständig ist, habe ein Flair für Ästhetik, sagt eine Kundin, die beim Hinausgehen meinen staunenden Blick bemerkt. Woher sie die Inspirationen nehme, frage ich. «Ich schaue in Schaufenster, und dann kommen mir Ideen, die ich hier umsetzen kann», lautet die Antwort. Wir setzen uns, weitere Mitarbeitende des Rheinfelder Claro-Ladens kommen dazu. Eine von ihnen, Rosmarie Henz, ist seit den Anfängen vor über vierzig Jahren dabei. «Damals», erinnert sie sich, «waren es vor allem junge Frauen und Männer, die mitmachten, Studierende, Mütter. Es war eine Zeit voller Idealismus, wir träumten von einer gerechten Welt, wollten ein Band der Solidarität knüpfen zwischen den armen Ländern des globalen Südens und unserer Wohlstandsgesellschaft.»

Pionierarbeit

Beat Vosseler, pensionierter Lehrer aus Maisprach, erzählt von den Frauenfelder Bananen-Frauen, die in den Siebzigerjahren die Frage stellten: «Warum sind Bananen billiger als Äpfel?» «Sie forderten einen Mehrpreis auf Bananen zugunsten der Produzenten in den Entwicklungsländern. Die Bewegung schlug Wellen, der Faire Handel wurde in der Schweiz zum Thema. Heute kann man bei allen Detailhändlern Fair Trade-Produkte kaufen. Es war Pionierarbeit, die da geleistet wurde.»

Alle vier Anwesenden arbeiten schon seit Jahrzehnten im Claro-Laden mit. Elisabeth Grunder erzählt lachend, sie habe schon als Kind gern Verkäuferin gespielt, das sei so geblieben bis zum heutigen Tag. Rosmarie Henz’ Mutter führte einst, in einem Dorf in der Innerschweiz, einen kleinen Laden. Vom Erlös habe sie jeweils «da und dort einen Batzen gespendet», das seien für sie, die Tochter, prägende Erinnerungen. Erika Sollberger ist in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, «man musste schmal durch», sagt sie. Später sei sie viel gereist, habe in Indien und Südafrika Armut und Ungerechtigkeit gesehen. Den Kick, hier mitzumachen, gab ihr ihr Mann, nachdem er im Zusammenhang mit einem Fastenretreat auf den Claro-Laden aufmerksam geworden war. Er wusste um den ästhetischen Sinn seiner Frau. «Und ja», fügt Erika Sollberger hinzu, «wir waren halt einfach privilegiert: Ich hatte Zeit und Ressourcen, mich freiwillig zu engagieren. Ich wollte etwas tun, was sinnvoll ist und mir zugleich Freude macht.»

Gänggele


Erika Sollberger ist für den Einkauf der Non Food-Produkte zuständig. Sie liebe es, sagt sie in breitem Berndeutsch, z gänggele, also einzukaufen; zwar gehe sie auch Kataloge durch, aber viel lieber schaue sie sich vor Ort um. Jedes der Produkte, die hier verkauft werden, hat seine Geschichte, die Solarleuchten aus Südafrika, die Paraffinkerzen der Stiftung Weizenkorn, die aus Recycling-Glas produzierten Trinkgläser, Vasen, Windlichter der Stiftung Terra Vecchia, die Seifen, die in der PUK Liestal hergestellt werden, die Nussknacker aus Palästina.

Für den Einkauf der Lebensmittel sorgt Elisabeth Grunder. Sie legt eine lange Liste auf den Tisch, aus der sie vierzehntäglich die Produkte auswählt. Sie kennt sich aus bei den Lebensmitteln, die zum Verkauf angeboten werden, weiss, was die Kundschaft wünscht. Der Balsamico bianco sei der absolute Renner, sagt sie. Es gebe Leute, die nur seinetwegen kommen. «Dignità alla terra», steht auf den Spaghetti, das Olivenöl stammt aus dem Westjordanland, die «Zartbitterschokolade mit Baobab & Moringa» aus Ghana. Auf der Rückseite der Verpackung ist das Problem im Zusammenhang mit der Schokoladeproduktion pointiert formuliert: «70% des Kakaos weltweit kommt aus Westafrika. 1% wird der Schokolade weltweit wird dort hergestellt.» Diese Schokolade gehört zu diesem einen Prozent, welches eben Jobs vor Ort schafft. Damit, betont Rosmarie Henz, trägt sie dazu bei, dass die Menschen ein Auskommen in ihrer Heimat finden und nicht migrieren müssen.

«Mit feinen Aromen dunkler Schokolade»

Zu den Kultprodukten des Fairen Handels gehörte immer schon der Kaffee. Man erinnert sich an den Nica-Kaffee, den man guten Gewissens trinken konnte, der aber scheusslich schmeckte. Das hat sich inzwischen radikal geändert. Das Gewissen bleibt weiterhin gut, doch der Kaffee schmeckt fantastisch, und seine Vermarktung ist hochprofessionell. Elisabeth Grunder holt eine Packung «Abakali»-Kaffee aus dem Regal: «Er wird von einer Kooperative in Uganda produziert, in der ausschliesslich Frauen tätig sind», sagt sie. «Abakali», steht auf der Verpackung, bedeute in der lokalen Sprache Lhukonzo «die visionäre Frau». Ein Kaffee aus dem Regenwald Sumatras, der einen «mit feinen Aromen dunkler Schokolade, Nelken und frischen Kräutern verführt», unterstützt das nationale Orang-Utan-Schutzprojekt.

Die Freiwilligenarbeit in diesem Laden, sagt Beat Vosseler, sei auch ein gesellschaftspolitisches Statement: «Das hier ist der Versuch einer Reaktion auf den Konsumrausch, dem, wie es scheint, ganze Generationen verfallen sind.» Doch die Arbeit, sagen alle vier unisono, mache auch einfach Freude. Die Gespräche mit den Kundinnen und Kunden, die sich um Alltägliches drehen, um Gesundheit, Politik, Klatsch und Tratsch, und die manchmal auch in die Tiefe führen. Sie sei schon froh gewesen um ihre gesprächstherapeutische Ausbildung, sagt Rosmarie Henz. Vor allem aber sei es schön, die Dankbarkeit zu spüren, wenn jemand ein passendes Geschenk für einen Kindergeburtstag oder die Therapeutin in der Reha findet. Das Restaurant Schützen bezieht Honig als Weihnachtsgeschenk für die Mitarbeitenden, die Kirchen Gutscheine für ihre Freiwilligen. In guten Jahren belaufe sich der Reingewinn jeweils auf etwa 7000 Franken, die an den Verein Solidarität Schweiz-Peru überwiesen werden, der einst von der charismatischen Basler Krankenschwester Dr. h.c. Gertrud Bärtschi (1932-2022) gegründet worden war.

Freiwilligkeit als Kick

Die Zusammenarbeit als Team, sagt Rosmarie Henz, klappe ausgezeichnet. Das sei keine Selbstverständlichkeit. Andernorts, auch bei Claro-Läden, gebe es Chritz, auch wegen Kleinigkeiten, zum Beispiel wegen der Dekoration. Bei ihnen sei das nicht so. «Nun ja», wirft Erika Sollberger ein, «auch bei uns ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Aber es stimmt schon, das Team funktioniert gut, auch dank der anderen acht Mitarbeitenden, die jetzt nicht hier sind.» Das habe viel zu tun mit dem gemeinsamen Spirit. «claro fair trade» empfehle eigentlich einen Stundenansatz von zehn Franken, doch hier verzichte man bewusst auf jede Bezahlung. Die Freiwilligkeit gebe den entscheidenden Kick.

Allerdings, und das sind sich alle bewusst, muss man sich das auch leisten können und wollen. Entsprechend schwierig sei es, in jüngeren Generationen Personal zu rekrutieren, und auch die Kundschaft werde älter und kleiner. Solange es geht, sagt Beat Vosseler, wolle man diese kleine Insel vor dem Untergang im Meer des Konsumrauschs bewahren.

Adresse:
claro Weltladen
Geissgasse 2
4310 Rheinfelden
+41 61 831 34 34

Öffnungszeiten:
Dienstag – Freitag: 09.00 bis 12.00 Uhr und 14.30 bis 18.00
(Donnerstagnachmittag geschlossen)
Samstag: 09.00 bis 12.00 und 13.30 bis 16.00

Das Claro-Team sucht zusätzliche Mitarbeitende! Interessierte melden sich bitte bei Erika und Jörg Sollberger (061 831 45 93; joerg.sollberger@bluewin.ch)